Elektrostimulation statt Medikamente
Magnetoceuticals – Neuartiger, patientenschonender Ansatz zur elektromagnetischen Stimulation von Nervengewebe
Eine Vielzahl von Erkrankungen werden heute medikamentös behandelt. Dies ist häufig mit Nebenwirkungen verbunden, die für den ohnehin erkrankten Menschen gravierend sein können. Ein neuer Therapieansatz, bekannt unter dem Schlagwort »Bioelektronische Medizin«, sieht die Therapie von Erkrankungen mittels Elektrostimulation vor. Seit April 2019 bringt das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT im BMBF-Verbundprojekt »Magnetoceuticals« seine langjährige Expertise im Bereich intelligenter miniaturisierter aktiver Implantate ein, um ein neuartiges Elektrostimulationssystem für Nervengewebe zu entwickeln.
Im BMBF-Verbundprojekt »Magnetoceuticals« entwickelt das Konsortium aus Forschungs- und Industriepartnern einen neuartigen Ansatz zur Stimulation von Nervengewebe unter Nutzung elektromagnetischer Felder. Ein extern am Körper getragenes Elektronikgerät und ein rein passives, stark miniaturisiertes Implantat ohne eigene Elektronik und Elektrodenkontakte in Form eines biokompatibel gekapselten Magnetkörpers, sind die wesentlichen Bestandteile des Systems. Die am Körper getragene Elektronik strahlt zeitveränderliche magnetische Felder in Richtung des Implantats ab. Das Implantat konzentriert diese und leitet sie an den Stimulationsort weiter. Gemäß den Maxwell-Gleichungen resultiert aus dem zeitveränderlichen Magnetfeld ein zeitveränderliches elektrisches Feld, das - bei geeigneter Wahl aller Parameter - im zu stimulierenden Gewebe ein Aktionspotenzial auslöst. Die Stimulation soll so wirksam und ortsaufgelöst erfolgen, wie das heute bei sehr komplexen Implantaten bereits der Fall ist. Diese Art der Therapie kommt ohne Medikamente und ohne eine implantierte Elektronik und Elektroden aus.
Innovation schont Patientinnen und Patienten
Die Innovation im »Magnetoceuticals«-Projekts besteht in der selektiven Stimulation von Nerven ohne Elektroden und implantierte Elektronik. Dies erspart Kabelverbindungen zwischen Implantatelektronik und Elektroden und Probleme wie Kabelbruch oder Elektrodenkorrosion werden vermieden. Da das Implantat über keinerlei Elektronik verfügt, müssen keine besonderen Vorkehrungen zum Schutz des Implantats vor Feuchte getroffen werden und aufgrund des Fehlens einer Implantatbatterie ist die Implantatlebensdauer praktisch unbegrenzt. Somit entfallen chirurgische Eingriffe für einen Batteriewechsel komplett. Zudem ist das Implantat aufgrund seines kleinen und einfachen Aufbaus unkompliziert zu im- und explantieren. Damit werden nicht zuletzt die Patientinnen und Patienten geschont. Die ohne Implantatbatterie auskommende und örtlich fokussierte Stimulation eignet sich besonders für Anwendungen, bei denen eine vorübergehende Stimulation zur Linderung von Symptomen erwünscht ist, wie beispielsweise zur Schmerzbehandlung, Senkung von Bluthochdruck, Bekämpfung von Migräne oder Reduzierung von Fettleibigkeit.
Fraunhofer IBMT-Expertise im Einsatz
Die Schwerpunkte der Arbeiten des Fraunhofer IBMT liegen auf der Simulation des Gesamtsystems, dem Erarbeiten der Implantatkörper sowie dem Test der aufgebauten Systeme. Eine Herausforderung besteht darin, für den zeitlichen Verlauf des externen Magnetfelds und die Geometrie sowie das Material des Implantatkörpers eine Kombination zu finden, die trotz der bestehenden Limitationen existierender magnetischer Materialien in Bezug auf Permeabilität und Sättigungsmagnetisierung zu elektrischen Feldern am zu stimulierenden Gewebe führen, die Aktionspotenziale auslösen. Computersimulationen wurden eingesetzt, um eine geeignete Systemkonfiguration zu finden und die Geometrie des Implantatkörpers zu optimieren. Nun gilt es, eine Elektronik zu entwickeln, die den nötigen zeitlichen Verlauf der Magnetfelder gewährleistet. Abschließend soll das System an Nervengewebe getestet werden.
Neben den bereits erwähnten Vorteilen des elektrodenlosen Stimulationssystems ergaben die Simulationen interessanterweise einen weiteren Vorteil hinsichtlich der Anwendersicherheit: Die Geometrie des Implantatkörpers kann so gestaltet werden, dass der Implantatkörper in die magnetische Sättigung eintritt, sobald er Magnetfeldern ausgesetzt wird, die die für die Stimulation erforderliche Stärke überschreiten. Eine Überstimulation durch extrem starke Magnetfelder kann somit allein durch das geschickte Design des Implantatkörpers ausgeschlossen werden.
Projektförderung: BMBF 16ES0956 (KMU-innovativ: Elektronik und autonomes Fahren)
Projektlaufzeit: 04/2019 - 03/2022
Verbundkoordinator:
OSYPKA AG, Rheinfelden (Baden)
Projektpartner:
CORSCIENCE GmbH & Co. KG, Erlangen
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT, Sulzbach